Rund um Köln

Gestern war es dann soweit. Mein erstes richtiges Rennen, also Jedermann-Rennen. 68 Kilometer rund um Köln durch das Bergische Land. Rennen, das ist so eine Sache, denn Rennen ist mit Leistung verbunden. Und zu leisten ist eine meiner Lieblingsstrategien, um mich gut zu fühlen. Ich leiste, also bin ich. Oder: Ich leiste, also darf ich sein. Das ist die noch weniger schöne Variante. Und trotzdem bin ich froh, dass ich mich gemeldet habe. Auch wenn der Preis happig ist: 80 Euro für 68 Kilometer. Das ist ein ordentlicher Kilometerpreis, aber im Vergleich zum Berlinmarathon oder ähnlichem immer noch preiswert. Dafür gibt es dann auch ein schickes Käppi, das ich Jenke mitbringen kann, eine Skoda-Trinkflasche, ein Ass-Saver Schutzblech und seeeeehr viel Werbematerial. Und dann gibt es da natürlich noch das Team, in dem ich neu, aber sehr gut aufgenommen bin: Casa Ciclista.

Casa Ciclista – Welches Team sonst singt live „Leev Marie“ mit Dirigent Marcel Wüst?

Tja, die liebe Leistung. Ich merke schon in den Vortagen von Rund um Köln, dass ich gute Beine habe und mein Radmarathon am Vorwochenende von Bonn durch die Eifel nach Eupen und zurück lässt mich ahnen, dass ich vielleicht auch Berge ganz gut fahren kann. Es juckt mich förmlich in den Beinen und natürlich auch im Kopf, zu schauen, was noch geht.

Am 2.6.2019 um 10:40 Uhr stehe ich also mit gut 2000 Menschen bei schönstem Wetter am Rheinauhafen und warte in Block C auf den Startschuss zu Rund um Köln. 2000 Menschen. Und das mir. Solche Menschenmassen vertrage ich in der Regel nicht gut, aber heute geht es. Vermutlich ist es die Aufregung und dann bin ich auch nicht alleine. Thomas steht direkt neben mir und witzelt wie immer herum. Das gibt Sicherheit. Ein bisschen minderbemittelt fühle ich mich allerdings schon mit meinem gebrauchten Pinarello FP3: Um mich herum BMC Timemachine, Pinarello Dogma, Cannondale Synapse, natürlich mit Dura Ace Di2… Was solls… treten müssen die auch. Ich bemerke die Spannung, die in der Luft liegt. Natürlich habe ich viel gehört über Scharmützel um die beste Position bei Abfahrten und in Kurven, über Stürze und Verletzungen. Dabei geht es doch um nichts. Ich will nach meinen Möglichkeiten fahren und heil ankommen und richte mich nach dem, was mir alle aus dem Team mitgegeben haben: Vorsicht und bloß kein Risiko. Heil ankommen. Das ist mir das wichtigste, gerade nach dem schweren Sturz von zwei Teamfahrern beim Radmarathon in der letzten Woche. Links von mir steht Marco, rechts von mir stehen Thomas und Judith. Marco ist für mich ein neues Gesicht, wie fast alle im Team Casa Ciclista. Wir unterhalten uns ein wenig über das Fahren im Bergischen, als es links von uns trocken ‚paff‘ macht. Ein Reifenplatzer fünf Minuten vor dem Start. Großartig. Der Fahrer ist total aufgeschmissen. Ohne Luftpumpe. Irgendjemand reicht ihm eine. Er pumpt und pumpt und pumpt. Thomas und ich schauen uns an. Meint der, dass die Luft jetzt im Schlauch bleibt? Schließlich kommt ihm ein junger Mann im Casa Trikot hinter der Absperrung zur Hilfe. Während sie den Schlauch wechseln, kommt Bewegung in die Sache. Wir rollen langsam los. Einen Startschuss höre ich nicht, aber irgendwann überfahren wir die Start- und Ziellinie.

Start mit Thomas, Marco und hinten René

Sind wir wirklich durch einen Tunnel am Maritim gefahren und über die Deutzer Brücke? Mein Puls ist dauerhaft bei 178/ 180, aber ich fühle mich gut. Ich nehme an, das ist auch das Adrenalin. Schemenhaft erinnere ich mich daran, dass ich irgendwann nach Mühlheim zwei Hasen auf einem Tandem und einen Verrückten mit Tourenrad und quietschender Kette überholt habe. Kurz vor Bergisch Gladbach bemerke ich, dass ich Thomas verloren habe. Jetzt heißt es eine passende Gruppe zu finden, was mir nicht so recht gelingen will. Auf dem Weg nach Odenthal und Altenberg donnern einige Fahrer aus Block F an mir vorbei. Wissen die nicht, dass es gleich hoch geht? Am Berg ist Stau. Ich bin so schnell an den Jungs von gerade eben dran, dass ich plötzlich an ihnen vorbei bin. Ich brülle den Leuten am Straßenrand zu, dass ich was hören will und werde mit einem Orkan belohnt. „Zieh, Zieh, Zieh, Zieh!“ Geiles Publikum. Dann erlebe ich meine erste brenzlige Situation: von hinten wird ohne Ende gedrängelt, vor uns fahren zwei Paare langsam den Berg die Serpentinen hoch und blockieren alles. Ich werde zwischen zwei Fahrern eingeklemmt und beginne mich sehr unwohl zu fühlen. Enge, das ist so gar nichts für mich. Auch auf dem Rad nicht. Merke ich jetzt. Plötzlich zieht die Fahrerin vor mir nach links, so dass mein Nebenmann hart bremsen muss. Ich nutze die Chance und die entstandene Lücke, setze mich davor und nehme die letzte Rampe in Angriff. Raus aus dem Gedränge. Luft. Die nächsten Kilometer passiert nicht viel. Es ist ein wenig wellig und ich fahre die meiste Zeit für mich. Irgendwann erreichen wir den höchsten Punkt der Strecke, dann geht es auf die Abfahrt in Richtung Bergisch Gladbach.

Altenberg Treeclimb – Das Publikum treibt mich hoch.

Mein Highlight: Auf der Abfahrt von Spitze nach Herrenstrunden fährt rechts vor mir ein Begleitfahrzeug von Skoda. Ich fahre schön links mit einigen Metern Sicherheitsabstand. Mein Wahoo zeigt 57,8 km/h. Mehr will ich bei meinen Fahrkünsten lieber nicht riskieren. Auch wenn es Spaß macht. Einem anderen macht es noch mehr Spaß. Im schicken Quickstep-Trikot schießt er rechts an mir vorbei, klemmt sich direkt (ca. 1 Meter) hinter den Skoda und setzt sich wie Peter Sagan auf die Stange. Was denkt der, was er da tut? Wenn der Skoda aus welchem Grund auch immer hart bremst, sitzt er auf dem Rücksitz. WAHNSINN! Schließlich zieht er nach links zu mir. Aha. Ist das Blut wieder im Gehirn angekommen. Doch nicht. Jetzt zieht er nach rechts vor den Skoda. Windschattenfahren 3.0. Der Skoda überholt schließlich und sieht zu, dass er Land gewinnt. Das mache ich auch. Bloß weg von dem Möchtegern-Profi aus dem Team Quickstep.

Irgendwann kommt der Abzweig nach Sand. Geil. Nur die Harten komm‘ innen Garten. Es wird sehr schnell sehr steil. Vor mir steigt plötzlich mitten auf der Straße ei Fahrer vom Rad. Ich kurve drumerhum. Am Straßenrand liegt ein Jugendlicher mit schweren Krämpfen. Eine Frau aus dem Publikum dehnt seine Waden. Ich überhole etliche Fahrer und freue mich, dass ich so gut hoch komme. Trotzdem bin ich froh, als ich oben bin. Die nächste kurze Abfahrt macht Spaß, dann geht es nach links und Richtung Bensberg, vorbei an der Verpflegungsstelle. Hier erwischt mich erstmals der Wind. Ich fluche innerlich und gleich noch einmal als der Anstieg beginnt. Der Wind ist weg, die Sonne brennt mir auf den Helm. Schließlich das Kopfsteinpflaster, das für mich zu einer Schlüsselstelle wird. Bloß nicht zu langsam werden, sonst holpert es. Das Publikum ist super. Ich fühle mich wie in einem Tunnel. Ich frage mich, wer da so laut „Yes“ schreit, als ich nach rechts auf den Asphalt abbiege. Oh. Das bin ich.

Kopfsteinflasterrampe bei Bensberg. Nur 6%, aber die ziehen Kraft.

Mein Puls ist bei 199 und mir ist übel. Langsam komme ich an meine Grenzen, aber jetzt geht es bergab. Ich konzentriere mich auf die Straße und fahre etwas langsamer, um mich zu erholen. Schließlich hänge ich mich an eine Gruppe, vor allem an eine junge Frau, die ungefähr mein Tempo fährt. Wir bleiben bis ins Ziel zusammen, nehmen uns aber nicht wirklich wahr. Wir sind beide platt und freuen uns, dass wir eine Gruppe gefunden haben, in der wir uns verstecken können.

Kurz nach oder kurz vor der Forsbacher Mühle (ich weiß es nicht mehr genau) steht eine Truppe Fahrer auf der Straße und schreit und winkt. Sie umringen einen Fahrer, der auf den Asphalt geknallt ist. Wie ich später höre, hat es sie alle bei einem Ausweichmanöver von der Straße gehauen, aber ihn hat es besonders schlimm erwischt. Er liegt in stabiler Seitenlage da und ist offenkundig ohne Bewusstsein. So eine Scheiße. Dann kommt, ich muss das leider so sagen, der Idiot des Tages. Ein Fahrer zieht kurz vor der Unfallstelle rechts an uns vorbei. Wir rufen ihm noch Vorsicht zu. Scheiß drauf. Er hält auf die Unfallstelle zu wie ein Bekloppter und zieht (zumindest gefühlt) im letzten Moment nach links. Ich verstehe das nicht. Das ist keine Platzierung der Welt wert.

Die letzten Kilometer verlaufen ziemlich ruhig. Ich lutsche mich in meiner Gruppe durch und schließe trotz des Windes zwischen Rath und Ostheim irgendwann zu Kai auf, dem ich dann aber auf den letzten Kilometern nicht mehr ganz folgen kann.

Da kann ich wieder lachen!

Ich bin jetzt endgültig am Anschlag. Kurz vor der Deutzer Brücke habe ich einen Schnitt von 34 auf meinem Wahoo und sofort denke ich mir: „Komm. Nachsetzen. Bloß nicht mehr unter 34.“ Ich schiebe den Gedanken bei Seite. Ich bin hier, um zu fahren. Ich muss keinem etwas beweisen. Auch mir nicht.

Tatsächlich funktioniert das. Schließlich fahre ich durchs Ziel und werde von Kai in Empfang genommen, der eine halbe Minute vorher da war. Das Publikum nehme ich kaum wahr. Ich bin froh, dass es vorbei ist und freue mich auf Fassbrause und Kölsch. Nur Sung und seine Familie bemerke ich, weil sie laut rufen. Cool! Gerade einmal gesehen und sie bejubeln mich. Das ist, glaube ich, der Casa-Spirit. Zweimal um die Ecke zum Zelt. Marcel drückt mir ein Kölsch in die Hand. Geil.

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Zielgerade. Endlich da. Danke, Sung!

Es war ein toller und aufregender Tag, den ich erlebt habe. Ich bin sowohl in meiner Altersklasse als auch insgesamt im allerletzten Drittel des ersten Drittels und habe einen Schnitt von 33,9 km/h. Das freut mich schon sehr. So ganz los lässt mich das Thema Leistung nicht. Manche Sachen lassen mich aber nachdenklich werden. Der schwere Sturz in Rösrath steckt mir in den Knochen, jemanden ohne Bewusstsein und schwer verletzt auf der Straße liegen zu sehen, das ist nicht schön. Bei manchen Aktionen habe ich mir kurz an den Kopf gegriffen, aber es gibt so viel anderes: Die Fahrer, die bei dem Schwerverletzten geblieben sind. Leute am Straßenrand, die bei Krämpfen Waden gedehnt haben, Fahrer*innen, die am Straßenrand gewartet haben oder den Berg wieder runter sind, wenn ihre Partner*innen den Berg nicht hochkamen. Publikum, das Wasser verteilt hat. Das alles wiegt, je weiter der Tag sackt, deutlich mehr als alles andere.

Und dann ist da natürlich das Team Casa Ciclista, in dem ich seit einiger Zeit fahre. Die Leute sind super nett. Auch wenn einige wirklich, wirklich starke Fahrer*innen dabei sind, ist spürbar, dass der Spaß an der Sache im Vordergrund steht. Marcel Wüst, the Big Boss, schleppt Bierkisten und verteilt Kölsch an alle Fahrer und ist, wie eigentlich immer, bester Laune. Menschen, mit denen ich noch nie gesprochen habe, klopfen mir auf die Schulter und gratulieren mir. Gruppen sind noch nie meins gewesen, aber hier fühle ich mich wohl. Als ich Franz, einem echten Eifel-Blitz, gegenüber erwähne, dass mir auf dem Kopfsteinpflaster in Bensberg speiübel war, sagt er: „Aber du hast den Anstieg geschafft.“ Das stimmt.

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